Meta-Analysen zeigen, dass kreative Menschen oft widersprüchlich sind:
autonom und introvertiert, ehrgeizig und impulsiv, beharrlich und dennoch offen für das Ungewisse.
Sie halten Ambivalenzen aus, wo andere nach Klarheit suchen, und lassen sich eher von Neugier und intrinsischer Motivation leiten als von äußeren Belohnungen (Feist, 1998; Hennessey & Amabile, 2010).
Ihre Energie liegt in der Spannung und auch im Mut, Widersprüche auszuhalten, bis daraus etwas Neues entsteht. In meinen Videos habe ich versucht, genau diese Energie sichtbar zu machen: das Oszillieren zwischen Denken und Fühlen, das sich in der ästhetischen Praxis spiegelt. Denn wie ich in meiner Arbeit über essayistische Bildung beschrieben habe, ist Kreativität keine Methode, sondern eine Haltung – eine Form der Erkenntnis, die sich nicht auf Effizienz oder Ergebnis reduzieren lässt. Schiller (1795/2000) sprach vom „Spieltrieb“ als Verbindung von Sinnlichkeit und Vernunft, Winnicott (1971/2010) vom „potentiellen Raum“, in dem Identität entsteht, und Baumgarten (1750/1988), interpretiert durch Peres (2012), von der „Morgenröte der Erkenntnis“, die dort beginnt,
wo wir lernen, sinnlich zu denken. Kreative Menschen sind – im besten Sinn – Spieler. Sie überschreiten Grenzen, nicht um sie zu zerstören, sondern um sie neu zu gestalten. Und vielleicht ist genau das die tiefste Form von Bildung: nicht Wissen zu wiederholen, sondern Welt zu entwerfen.
⸻
Literatur
Baumgarten, A. G. (1750/1988). Aesthetica (H. R. Schweizer, Hrsg.). Felix Meiner.
Feist, G. J. (1998). A meta-analysis of personality in scientific and artistic creativity. Personality and Social Psychology Review, 2(4), 290–309. https://doi.org/10.1207/s15327957pspr0204_5
Hennessey, B. A., & Amabile, T. M. (2010). Creativity. Annual Review of Psychology, 61(1), 569–598. https://doi.org/10.1146/annurev.psych.093008.100416
Peres, C. (2012). Ästhetische Erkenntnis: Eine Einführung in die philosophische Ästhetik. transcript.
Schiller, F. (1795/2000). Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. Reclam.
Winnicott, D. W. (1971/2010). Vom Spiel zur Kreativität. Klett-Cotta.