leute, nervt mich

leute, nervt mich

So, nach Jahren wieder ein Blog. Weil:

1. Theologischer Vorbau

Seit Jahrhunderten hören wir, dass Leid eine Prüfung sei, dass Gott uns auf unergründlichen Wegen stählt, dass wir dankbar sein sollen für das Kreuz, das wir tragen. Schon Luther hat dieses Narrativ ins Wanken gebracht: Nicht durch Qual und Werke, sondern allein durch Gnade wird der Mensch gerechtfertigt.

2. Popkultureller Bezug

Und doch lebt die alte Logik weiter: ‚What doesn’t kill you makes you stronger‘ – von Nietzsche über Kelly Clarkson bis zu Motivationsposts auf Instagram. Es klingt cool, catchy, empowernd. Aber es ist dasselbe alte Gaslighting in neuer Verpackung.

3. Das Tellerwäscher-Gaslighting-Narrativ

Die Wahrheit ist: Leid macht nicht stark. Stark macht das Überleben. Stark macht die eigene Arbeit, das Enabling durch Freunde, oder der Trotz gegen jene, die es uns schwer machten. Stärke ist nicht das Geschenk der Verletzung, sondern Ergebnis der Bewältigung. Und deshalb schulden wir dem Leid keine Dankbarkeit. Stattdessen schulden wir uns Anerkennung. Und den Menschen um uns herum.

Auch das Märchen vom Tellerwäscher zum Millionär funktioniert nach demselben Muster: Erfolg wird als Geschenk des Mangels erzählt. Aber niemand ist erfolgreich wegen Armut, Gewalt oder Missachtung. Man wird es trotzdem – oder mit Hilfe von Enabling. Dieses Narrativ verschleiert, wie sehr soziale Herkunft, Netzwerke und Zufall über Chancen entscheiden. Es ist Gaslighting im Gewand des Kapitalismus: Wenn du scheiterst, bist du selbst schuld. Wenn du Erfolg hast, hast du es allein geschafft. Das führt letztendlich dazu, dass wir immer nur denjenigen zuhören, die von sich erzählen. Menschen, die das soziale Grundprinzip des Miteinander nicht verstanden haben oder nicht wertschätzen oder aus narzisstischen Gründenabsichtlich klein halten um sich selbst größer erscheinen zu lassen.Wer steht oben, nimmt Anerkennung entgegen und erzählt dann von all denen, die ihm dabei geholfen haben, nach oben zu kommen?

Erfolg ist nie nur ich. Scheitern ist nie nur ich. Das Umfeld zählt – immer. Wer das ausblendet, erzählt ein Gaslighting-Märchen. Ich darf sagen: Du hast mich geschwächt. Ich darf Schuld benennen, ohne mich selbst zu entmachten. Denn Schuld hat zwei Gesichter: Regressiv wirkt sie wie ein Schutz, doch hält mich in Ohnmacht gefangen, ich entlaste mich, aber ich wachse nicht. Klar benannt dagegen wird sie zur Befreiung. Ich erkenne die Realität an, mache Muster sichtbar, ziehe Grenzen. So entsteht Wachstum: indem meine Kraft und die Wahrheit über mein Umfeld nebeneinander stehen.


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